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Zur Wehrpflicht mittels Losverfahren: Pech im Spiel, Glück in der Armee?

Künftig soll “ein Losverfahren darüber entscheiden, wer gegen seinen Willen gemustert und eventuell zu einem sechsmonatigen Militärdienst eingezogen wird“, berichtet T-Online am 14.10.2025. Und die Tagesschau berichtet am selben Tag: “Union und SPD einig bei Wehrdienst-Losverfahren“. Rechtliche Probleme ergäben sich hier nicht: “Ein Losverfahren diene dazu, in einem Auswahlprozess Gleichheit herzustellen. “Der Prozess der Auslosung gewährleistet diese Gleichheit, weil alle die gleiche Chance haben oder Nicht-Chance, gezogen zu werden”, wird dort der Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann (CSU) zitiert.

Damit ist das Kernproblem des Losverfahrens angesprochen, das sich unter dem Schlagwort der Wehrgerechtigkeit (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG) zusammenfassen lässt. Hierbei handelt es sich um einen verfassungsrechtlichen Grundsatz, wonach staatsbürgerliche Pflichten grundsätzlich für alle Bürger gleich gelten. Danach ist die “von der Verfassung gebotene umfassende und gleichmäßige Heranziehung aller Wehrpflichtigen zu einer Dienstleistung sicherzustellen” (BVerwG, Urt. v. 26.02.1993, Az.: 8 C 20/92). “In Betracht kommt einerseits, die Zahl derjenigen, die tatsächlich Wehrdienst leisten, der Zahl derer gegenüber zu stellen, die nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen für den Wehrdienst zur Verfügung stehen (sog. Innenwirkung des Gebots der Wehrgerechtigkeit), und andererseits, die Zahl der tatsächlich zum Wehrdienst Einberufenen ins Verhältnis zur Zahl aller Männer eines Geburtsjahrgangs zu setzen (sog. Außenwirkung des Gebots der Wehrgerechtigkeit)“, heißt es dazu beim Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 22.07.2009, Az.: 2 BvL 3/09). Einberufungen dürfen zudem nicht nach willkürlichen Maßstäben erfolgen (BVerfG, Urt. v. 13.04.1978, Az.: 2 BvF 1, 2, 4, 5/77).

Es ist daher fraglich, ob diese Gerechtigkeitsmaßstäbe mit dem neuen Maßstab des Abgeordneten Hoffmann (“gleiche Chance … oder Nicht-Chance, gezogen zu werden“) übereinstimmen. Die Möglichkeit eines Losverfahrens wird in der juristischen Fachliteratur durchaus kritisch betrachtet: “Entscheidungen im Losverfahren werden mehrheitlich als rechtlich unzulässig erachtet” (BeckOK GG/Schmidt-Radefeldt, 62. Ed. 15.6.2025, GG Art. 12a Rn. 8c), “Ob ein Losverfahren verfassungsgemäß wäre, ist höchst fraglich” (C. Richter, 2024); “Eine ungleichmäßige Heranziehung zum Wehrdienst bedarf der sachlichen Rechtfertigung, keinesfalls darf der Zufall über die Einberufung entscheiden. … Jedenfalls bei der Vergabe von Standplätzen etc soll eine Zuteilung nach dem Losprinzip verfassungsrechtlich zulässig sein. Schon dies dürfte für die gerechte und gleichmäßige Vergabe von Vorteilen (der Zufall ist näher an der Willkür als an der Gerechtigkeit) nicht zutreffend sein, und kann erst recht nicht bei der benachteiligenden gleichmäßigen Heranziehung zu einem Pflichtendienst gelten.” (Sachs/Hummel, 10. Aufl. 2024, GG Art. 12a Rn. 11) oder etwa “Unzulässig ist die Auswahl durch Los, die zu allzu großen Belastungsunterschieden führt.” (v. Münch/Kunig/Kämmerer, 8. Aufl. 2025, GG Art. 12a Rn. 20).

Es bleibt daher abzuwarten, wie die konkrete gesetzliche Ausgestaltung zum “Wehrdienst-Losverfahren” erfolgen wird – und wie die benannten Fragestellungen behandelt und gelöst werden. Zudem sollte die Auslosung, die im Ernstfall zu einer Entscheidung über Leben und Tod führen kann, nicht nur rechtlichen, sondern auch gesellschaftlichen Legitimitätsgesichtspunkten entsprechen. Am Ende dürfte ohnehin das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben – wenn das Losverfahren überhaupt noch kommt. Denn abendliche Berichte titelten schon: “Doch keine Einigung beim Wehrdienst – weiter Streit um Losverfahren“.

Unabhängig von den vorstehenden Fragen wird es aber weiterhin möglich bleiben, den Wehrdienst aus Gewissensgründen zu verweigern. Neuerdings könnte es zudem eine weitere Möglichkeit geben, sich legal dem Dienst an der Waffe (vgl. zu illegalen Wegen v.a. die §§ 109, 109a StGB) zu entziehen: Da die Wehrpflicht des Art. 12a GG nur für “Männer gilt, könnte die Geschlechtsumwandlung per Sprechakt nach dem sog. “Selbstbestimmungsgesetz” (SBGG) eine weitere interessante Möglichkeit darstellen. § 9 SBGG, der hierzu eine besondere Regelung trifft, verwehrt die Zulässigkeit der Änderung des Geschlechtseintrags nämlich nur im bzw. zwei Monate vor dem Spannungs- bzw. Verteidigungsfall – da die Wehrpflicht derzeit nur dann gilt (vgl. § 2 WPflG). Auch hier bleibt also die gesetzgeberische Tätigkeit abzuwarten.