“Mittlerweile wird der Ruf laut, Doppelstaatlern leichter den deutschen Pass zu entziehen. Dafür spricht sich der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm aus.“, berichtet heute die WELT nach der Festnahme dreier mutmaßlicher Hamas-Terroristen in Berlin. Andere Medien berichteten ähnlich.
Dabei wird jedoch regelmäßig sprachlich übersehen, dass der hier anklingende “Entzug” der deutschen Staatsangehörigkeit verfassungsrechtlich explizit ausgeschlossen ist. In Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG heißt es nämlich: “Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.” Im folgenden Satz 2 der Norm heißt es aber sodann: “Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.” Was ist also der Unterschied zwischen “Entzug” und “Verlust”?
Der Begriff des (grds. zulässigen) “Verlusts” der Staatsangehörigkeit kann als Oberbegriff angesehen werden. Den ausnahmslos verbotenen “Entzug” definiert das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 10.04.2008, Az.: 5 C 28/07) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dabei wie folgt: “Eine nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit ist danach jede, aber auch nur die Verlustzufügung, welche die – für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame – Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung der Verlässlichkeit und Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus liegt insbesondere in jeder Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann (vgl. a. a. O. BVerfGE 116, 24 <44>). Zur Verlässlichkeit des grundrechtlich geschützten Staatsangehörigkeitsstatus gehört danach auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen (BVerfG a. a. O. S. 45)”.
Könnte der Betroffene den Verlust der Staatsangehörigkeit also nicht bzw. nicht zumutbar beeinflussen oder ihn nicht vorhersehen oder erfolgte dieser etwa in diskriminierender Weise (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.05.2006, Az.: 2 BvR 669/04), läge ein unzulässiger Entzug vor.
In § 35 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) (i.V.m. § 17 Abs. 1 Nr. 3 StAG) findet sich eine zulässige, vorhersehbare Regelung zum zulässigen Verlust der Staatsangehörigkeit durch Rücknahme der Einbürgerung, “wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.” Der Betroffene ist hier nicht schutzwürdig, sondern hat seine Einbürgerung selbst und schuldhaft mit einem Makel behaftet. Trotz des eigentlich entgegenstehenden Wortlauts des Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG kann dies sogar – so die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – zur Staatenlosigkeit des Betroffenen führen: “Die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung daran scheitern zu lassen, dass der Betroffene dadurch möglicherweise staatenlos wird, läge aber so eindeutig außerhalb des Sinns und Zwecks der Vorschrift, dass der insoweit überschießende Wortlaut für die Auslegung nicht maßgebend sein kann. (…) Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiert rechtstreues Verhalten und untergräbt damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit.” (Urt. v. 24.05.2006, Az.: 2 BvR 669/04, Rn. 53/63).
§ 28 Abs. 1 StAG (i.V.m. § 17 Abs. 1 Nr. 2 StAG) normiert zudem zwei weitere, zulässige Verlustgründe, auf die auch die eingangs erwähnten aktuellen Presseberichte anspielen. Danach verliert ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit, wenn er “auf Grund freiwilliger Verpflichtung ohne eine Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung oder der von ihm bezeichneten Stelle in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, eintritt“, oder wenn er “sich an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland konkret beteiligt“. Der (ebenso vorherseh- wie beeinflussbare) Verlust knüpft hier also an eine freiwillige Entscheidung des Betroffenen an. Im Gesetzgebungsverfahren hieß es hierzu: “Wer sich bewusst ins Ausland in den Wirkbereich einer Terrormiliz begibt und diese durch konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen aktiv unterstützt, sich dadurch also in den Dienst einer Terrormiliz stellt und deren völkerrechtswidrige Ziele fördert, belegt, dass er sich zu Gunsten der Hinwendung zu der Terrormiliz grundlegend von Deutschland und seiner freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgewandt hat.” (BT-Drs. 19/9736 v. 29.04.2019, S. 9). Die Norm sieht jedoch vor, dass der Verlust nur eintritt, wenn der Betroffene nicht staatenlos wird; es muss sich also um einen sog. Doppelstaater handeln.
§ 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG spricht nun aber – zurückkommend auf die eingangs genannten aktuellen Diskussionen – explizit davon, dass Kampfhandlungen “im Ausland” begangen werden müssen. Aufgrund der staatsangehörigkeitsrechtlichen Besonderheiten ist insofern umstritten, ob es rechtliche Möglichkeit gibt, den Verlust etwa auch als Sanktionsmittel für kriminelle Handlungen schwerster Art zu nutzen (vgl. Giegerich, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 107. EL, 03/2025, Art. 16 Abs. 1, Rn. 157/188). Unabhängig hiervon wird man aber stets fordern müssen, dass jeder künftige sonstige Verlustgrund nicht nur als (verhältnismäßige) Sanktion verstanden werden darf, sondern immer und gerade auch einen “Ausdruck der vom Staatsangehörigen bewusst vollzogenen Abwendung von Deutschland, der „Aufkündigung“ der staatsangehörigkeitsrechtlichen Bande” (vgl. Heusch, in Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Ed. 62, 15.06.2025, Art. 16 Rn. 40) erfordert, was inhaltlich aber auch für entsprechende terroristische Unterstützungs- und Kampfhandlungen im Innland begründet werden könnte: “Verfassungs- oder völkerrechtlich erforderlich ist das Merkmal gleichwohl nicht, sodass eine Verlustregel ohne Auslandsbezug ebenso denkbar wäre wie entsprechende Kampfhandlungen im eigenen Staatsgebiet nicht ausgeschlossen werden können” (vgl. Weber, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Ed. 45, 01.07.2025, StAG, § 28 Rn. 38). Wenn der Abgeordnete Throm also mit den Worten “Es gibt keinen Grund, dies nicht auch auf Terrorhandlungen, die im deutschen Inland begangen werden, anzuwenden” zitiert wird, dürfte diese Forderung daher als dogmatisch durchaus begründbar angesehen werden.